Überführt!

Überführung von Piräus nach Korfu? OK!

Ankommen in der Nacht, heiß, Hemden bleiben an Taxi Sitzen kleben und die heimischen Zigaretten schmecken in der Hitze nicht. Eine „Lagoon 410“ suchen, an einem Pier, wo hunderte von Booten liegen? Braucht Zeit und Nerven…

Nur ein Gedanke danach: Bier! In der am schnellsten zu findenden Kneipe gibt’s kaum Plätze, alles belegt von griechischen Schönheiten und ihren Machos, die sich erfolglos balzend bemühen und auch diese Nacht wieder alleine bleiben werden, weil sie ganz einfach zu schön sind. Das Bier ist teurer als in Dänemark, Marihuana wäre billiger, aber kühlt nicht so gut bei immerhin noch 32 Grad um Mitternacht.

Verproviantieren im örtlichen Supermarkt am nächsten Morgen, einladen und dann ENDLICH Leinen los! Natürlich fährt man erst einmal über eine Mooring Leine und hält den ganzen Betrieb auf („Gott – wie peinlich!“) Aber dann haben wir die Weiten der Ägäis vor uns und das Ziel klar vor Augen: der Kanal von Korinth. Mit fünf Knoten auf der Backbord-Maschine an den Anleger, 90 Euro zahlen, weiter geht´s drei Seemeilen durch die Sandsteinfelsen. Hinter uns springt ein Bungee-Jumper mit touch down von einer der vier Brücken: modern times.

Konrinth: anlegen längsseits, Sicherungsleine. Nur zweihundert Meter zum nächsten Lokal, vorbei an einem brückenlosen Katamaran, abgeschlamptes Fahrtenboot; wäre schön, dem Eigner eine Flasche Retsina einzuflössen und ihm dabei zuzuhören … Platzregen beim Essen, eitler Restaurantbesitzer, der seine Haare immer hastig nach hinten streicht und das Haltegummi seines ergrauten Pferdeschwanzes straffer zieht.

Früh raus, Maschinen an, auf der Fahrt wird gefrühstückt und nach einer Tagesfahrt bei Flaute laufen wir in Galaxidhi ein. Ein drahtiger und zahnloser Engländer in blauen Shorts schreit uns Seemannsgarn zu. Nicht ganz einfach anzulegen, anderthalb Stunden Manöver, keifende Mitfünzigerin (Engländerin!) an Deck des Nachbarbootes, voller Angst um ihr Hab und Gut. Blasse Haut. Verlorene Lust und gewonnener Frust spiegelt sich in ihren sonnenverblichenen Haaren. Ihre Haut schreit.

Der Engländer besserwissert sich an Deck bis hin zur Einladung zum Bier, danach folgen ausschweifende Erklärungen über das englische, amerikanische und australische Steuerrecht, die er ja brilliantestens ausgelotet und genutzt hat, hähä… Unser Skipper spielt währenddessen mit den Leinen und macht ihn nervös, so nervös, dass er von Bord geht, um sich den folgenden Drink an der nächsten Bar zu genehmigen.

Schlendern durch den Ort, malerisch und einigermaßen authentisch. Mit Nautischem Museum. Vor hundertfünfzig Jahren wurden hier die besten Dreimastschoner gebaut. Reederort. Und heute? Von all der Pracht nichts mehr zu sehen.

Abendessen. Nettes Lokal, leider keine Hauptspeisen, also zurück zum Kai, in eine der dortigen Kneipen. Phänomenale Hähnchenkeulen in Pfeffersauce. Bemerkenswert, wenn man Griechenland vor zwanzig Jahren kennt, wie er. Das Eignerpaar fällt danach in die Koje, er nicht.

Er muss zurück in den „Ocean Drive“, am Wasser sitzen. Sterne gucken, Meerbrise auf der Haut fühlen, rauchen und mit Ouzo verdauen. Gepolsterte Teakholzsessel haben längst die tiefgezogenen weißen Plastiksessel der Achtziger abgelöst. Er träumt in die Nacht über ihm. Die Bedienung erschreckt ihn, er fährt herum. Lachen.

Enna Ouzo parakalo.

Er sieht weiter in die Nacht.

Das Glas und das Wasser dazu werden abgestellt und wenig später wird ihm warm, durch und durch. Er hat noch nicht einmal getrunken.

Langsam dreht er sich um und sieht sie, wie sie in dieselbe Richtung in die Nacht blickt wie er. Sie wärmt ihn, ohne ihn auch nur zu berühren. Sie geht weiter, ist Bedienung, darf nicht verweilen, der Chef im Kreuz – vermutet er.

Der Ouzo kühlt. Ihn und seinen Zahn, der anfängt zu schmerzen.

Nachdem er in der relativen Mitte des Lokals sitzt, muss sie immer wieder an ihm vorbei, manchmal vor ihm, geschäftig, sie schwingt, bezaubernd, nicht aufdringlich. Klein ist sie, kleiner als er. Große, dunkle Augen, kleine Nase und großer Mund, sie findet sich wahrscheinlich hässlich, manchmal, morgens – er ist entschieden anderer Meinung. Sie hat einen Po wie ein Brötchen, ganz frisch.

Enna Ouzo parakalo ankoma.

Nur damit sie wiederkommt, in ihrer naturfarbenen Baumwollhose und dem olivgrünen Top. Immer, wenn sie hinter ihm vorbeiläuft überfährt ihn diese Wärmewelle, nie erlebt vorher. Er zündet sich eine weitere Karelia an. Scheußliches Kraut. Die Wärme hinter ihm verfliegt wieder.

Er kann ihr zusehen, wie sie sich in der Distanz ihrerseits eine Zigarette anzündet, kleine Pause. Die Menschen werden mehr, Griechen und -Griechinnen, Mütter um die vierzig mit ihren zwanzigjährigen Töchtern im String. Die Väter kommen wenig später dazu.

Ein vollbusiges Rosenkleid kreuzt seinen Blick: niedere Minne, zweite Wahl.

Enna Ouzo parakalo ankoma.

Ihm fällt nichts ein, um sie weiter im Gespräch zu halten. Wie kann ein irdisches Wesen SO schweben? Sie kann!

Liebe braucht Zeit, er hatte keine.

Gott konnte gemein sein.

Überführungsfahrten sind so – war klar von Anfang an.

Einen Ouzo später wusste er, dass sie Apostolia heißt, fashion design in Athen studiert und im Sommer hier arbeitet. Der nächste Ouzo war ein doppelter von ihr – mit Augenzwinkern dazu. Und das Firmament war hoch und weit und die Sterne, die er nun zum ersten Mal wirklich in der vollen Breite sehen konnte (auf dem Schiff hinderte sonst immer die Persenning seinen Blick) waren so viele, viel mehr als daheim. Im Übrigen saß er gerade sowieso auf einem kleinen Fleckchen Himmel, was hätte er mehr wollen sollen?

Vielleicht Apostolia´s Hände von hinten auf seinen Schultern, ein Hauch von Ewigkeit, nichts weiter als eine kurze Geste, aber sie hätte sich eingebrannt in seine Erinnerungen: in diejenigen, die man haben soll, kurz bevor man stirbt.