Wenn man von der Bundesstraße abbiegt, scheint es, als verließe man die Gegenwart und taucht in eine Art „time tunnel“ ein: ein Areal, in dem die Zeit stehen geblieben ist. So ist die Bäckerei, mit dem die Bucherstraße auf der Westseite beginnt, auch fünf Generationen alt: klein, eher dunkel, die Möbel etwas windschief durch die Jahrzehnte lange Last von hunderten und aberhunderten Brotlaibern. Was aber viel interessanter ist: die Rezepte zur Zubereitung sind ebenfalls die alten geblieben – und das macht sie so unschlagbar: aussitzen muß man können und schon übersteht man die neuesten Trends mühelos und bleibt somit zeitlos im Geschäft.
Bevor ich weiter die Geschichten aus der Bucherstraße zum Besten gebe, möchte ich diese bemerkenswerte Episode zu Ende führen, da sie wirklich ihresgleichen sucht.
Nun, auch ich bin Geschäftsmann und in der Bucherstraße ansässig. Morgens hole ich mir eine Butterbrezel zum Kaffee vom besagten Bäcker, nachmittags gelüstet es mich oft nach etwas Süßem. Dabei habe ich ein paar „old time favorites“ (Nußecken!), bin dabei aber immer auch offen für saisonalen Leckereien: Zwetschgendatschi beispielsweise, oder eben Bienenstich. Das mit dem Bienenstich habe ich dieses Jahr zum ersten Mal wieder seit der Schulzeit gemacht, weiß auch nicht mehr so genau warum eigentlich. Ich hatte Bienenstich wohl noch aus der Pennälerzeit in Erinnerung: Damals war die Sahne so weich, daß sie schon beim ersten Bissen zur Seite ausquoll und einem – da konnte man machen, was man wollte – auf Hemd oder Hose patzte. Da stand man dann hilflos und unbeholfen mit einem überquillenden Bienenstich in der Hand auf dem Pausenhof und machte sich zum Gespött.
Das war mein Grund dafür, nie mehr Bienenstich zu essen.
An besagtem Maitag aber, verhielt es sich alles anders: Erstens ging ich nicht mehr in die Schule, zweitens sah ich momentan wenig Verlockendes in der kleinen Kuchentheke besagter Bäckerei, drittens überredete mich die Besitzerin des Ladens charmant doch einmal etwas anderes auszuprobieren als immer nur Nußecken und viertens war einer dieser absolut unschlagbaren ersten Frühsommertage, an denen man einfach gute Laune haben mußte.
Zurück in meiner Werkstatt machte ich mir einen Milchkaffee an meiner guten, alten, -zig Mal restaurierten „Pavoni professionale“ und freute mich auf meinen Bienenstich dazu: auch weil er kleiner war, als diese Monster früher, die Sahneschicht war auch dünner, also konnte nicht mehr allzu viel passieren. Passierte auch nicht, ausser daß ich beim Verzehr zu bemängeln hätte, daß ich – hätte ich den Bienenstich gemacht – etwas mehr Zucker verwendet hätte, denn das gute Stück schmeckte mir ganz einfach zu fade. Naja, was man sich halt für Gedanken macht, wenn man alleine vor seinem Kaffee sitzt und in den Frühsommer linst, der sich so die Bucherstraße hinunter wälzt, schwer und sinnlich und still…
Als ich am folgenden Tag wieder Nachmittags noch gar nicht an Kaffee dachte, klingelte das Telefon, meine Freundin war dran und erzählte mir ganz aufgeregt, daß die Bäckerin angerufen hätte – wegen des Bienenstichs. Was damit denn los sei, wollte ich natürlich wissen. Der Markus hätte das falsche Fett verwendet und ich solle bitte sofort in den Laden kommen und mir ein Extra Stück meiner Wahl holen, denn das ginge nicht, daß sie schlechten Bienenstich verkaufen.
Ich war sprachlos.
Eine Viertelstunde später war ich im Laden und wollte Einzelheiten wissen. „Mei Manuel!“ begrüßte mich die Bäckerin aufgeregt „Gott sei Dank! Suach da schnei a scheens Stück´l aus – ganz gleich wos´d mogs´d!“ Auf meine Frage wie es denn zur ersten Bienenstich-Rückhol-Aktion in der Geschichte des Bäckerhandwerks kommen konnte, erzählte sie mir eigentlich alles, was ich eh schon wußte – nein stimmt nicht: die Sache mit dem falschen Fett, das wußte ich schon, aber daß sie als Geschäftsfrau solche Mühe hat, ein Mißgeschick wieder gut zu machen, das wußte ich nicht. Einleuchtend erklärte sie mir, daß ihre Kundschaft ganz einfach nicht mehr kommt, wenn etwas nicht so schmeckt wie gewohnt. Die erreicht man einfach nicht mehr! „De kemman nimma – egal wos´d mags´d!“.
Nachvollziehbar und ganz folgerichtig gedacht dann auch der Ansatz, schlicht anzurufen, von wem man den Namen und damit auch die Telefonnummer hat. So kam es dazu, daß ich dann eines weiteren Nachmittags im Laden stand und mich diesmal für einen – im übrigen ganz vorzüglichen – Butterkuchen entschied. Nußecken und Bienenstich waren an dem Tag schon aus.