An dieser Stelle seien Auszüge erlaubt, in denen die Kunstfigur Johannes Behringer seine Sicht der Welt in loser Folge zum Besten gibt. Viel Spaß damit!
Behringer und die Kunst I
„Behringer rauchte noch eine Zigarette vor den Schaufenstern, amüsierte sich über die unglaubliche Kreativität der Schauwerbegestalter im Dienste von Gucci, Lucci und Fucci, den – was Wunder! – doch im September tatsächlich das Thema „Oktoberfest“ eingefallen war, einmal ganz etwas neues, in diesem Jahr! Und wie einfallsreich es die Dekorateure doch wieder hinbekommen haben: man staune und staune! Da gab es – hach wie niedlich! – doch kleine Bayern und Bayerinnen in Tracht zu sehen, Maßstab M 1: 18, die zu Channel Damenuhren Schuhplatteln! Da gab es bei Gucci die fliederfarbene Krachlederne mit Straß besetzt! Und – das fehlte ja noch zum Bayernglück! – die Wiesn-Herzerln, die den Namen Lucci (oder war es doch Fucci?) mit Zuckersahne aufgesprizt hatten… Wo waren jetzt die gleich wieder zu sehen? Er hatte es vergessen, im nieselnden Beliebigkeits Dschungel der Weltstadt mit Herz!
Er warf seine Zigarette in die Trambahnschienen, nickte einem grauhaarigen Herrn in Lederjacke zu und machte sich die Stiegen in den dritten Stock auf, um besagtes Wunderkind aus Amerika zu bewundern, das nun zum ersten Mal (hört, hört!) in good old europe auszustellen vermochte! Sanftes Ambiente empfing ihn in der dritten Etage, er wurde (was ihn etwas wunderte…) nicht sofort mit Prosecco, Wiesenbier oder Mineralwasser ertränkt, nein, man nickte ihm wohlwollend zu und fragte nach seinem Begehr. Er fragte nach der Tochter des Hauses und wurde vertröstet, was ihm freies Geleit in die geweihten Hallen bescherte.
Mit hängenden Mundwinkeln nahm er die relativ kleinen Formate des Wunderkindes wahr, spärlich in Ausdruck und farblich ebenso unentschlossen, wie im Ausdruck. Hingehuschte, unsichere Gesten eines hilflosen und testosterongesteuerten Halbwüchsigen, der sich ausnahmsweise mit einem Rotmarder bewaffnet hatte und (erfreulicherweise!!!) nicht mit einer Luger oder einer Glogg, um es „seiner Generation“ zu zeigen… Wenig später ging das Licht aus, und Wunderkind Mc Graw zündete Teelichter um ein zweifarbigen Kanarienvogelsandhaufen an, betete in Musilm Manier vor einer potemkin´schen Madonna aus Pappe, machte Körperertüchtigungsübungen mit einer Schreibtischlampe ohne Schirm und las unverständliches auf amerikanisch in Legastheniker Manie vor…
…der Vollständiglkeit halber sei angemerkt, daß während der ganzen Performance „Let it be“ von den Beatles oder „Crimson and Glover“ von wem auch immer über eine lausige PA Anlage der Galerie lief. Die Performance gipfelte mit der Enthauptung mehrerer Lilien, deren Blüten in Wassergläsern zum Stehen gebracht wurden, während die Stengel auf einem Chromtablett in allen Richtungen gleichmäßig verteilt wurden.
Behringer war am explodieren. Das Märchen von „Des Kaisers neue Kleider“ hämmerte in seinem Schädel, er mußte an die Luft, er verstand in einer Nanosekunde die gewaltige Wucht des gesamten Werkes von Otto Dix, Loutrec, Lovis Corinth und den Zeichnern des Simplizissimus, er war am Keuchen, hastete die Treppen hinunter und sah aus dem Augenwinkel das Namensschild der Galerie Biedermann, durch deren Tür er auch noch fand und nun zur zweiten Station des Abends gelangte. Ein chilenischer Künstler hatte aus arte povera Materialien seine weiblichen Phantasien verewigt, gar nicht so unansehnlich…
Weil das so war, beschloß Behringer auf seinem Weg nach unten noch einen Stop einzulegen, die angegammelten Brandwerke seines chilenischen Kollegen zu begutachten, um danach erst zu seiner nächsten Zigarette zu finden. Kleine Papierarbeiten, kaum Postkarten groß, nahmen in Anspruch gesehen zu werden – und wer sich die Mühe machte, genauer hinzusehen, wurde mit nackter Weiblichkeit belohnt. Immerhin!
Auch die beiden ansehnlichen Chileninnen, die an der Seite des Künstlers hingen, vermochten Behringer nicht länger zu halten, jetzt waren die anderen Stockwerke an der Reihe, um auf die Straße zu gelangen! Schnell hastete er, das Eichenparkett hallte im schmucklosen, runden Treppenhaus und fand durch den Durchgang unter dem ersten Stock hindurch auf den Bürgersteig. Dort angekommen zündete er sich seine Zigarette an und schritt forsch aus, seine Laune war äußerst mies.
Aber er wollte es heute Abend wissen, gerade jetzt, bei Oktoberfest und Nieselregen! So gab er sich alle Schaufenster, die die Edelmarken so zu Bieten hatten und befand die geistige Gleichschaltung der Megastores der Mode. Gucci sieht aus wie Lucci oder Fucci, Dolce ist so gabana wie Valentino und Hermes unützert sich duch den Ralph Lauren. Bei Bulgari sandern sich die vier Jahreszeiten durch die Kammerspiele und wo einst Sinti und Roma geeint feierten, wird sich in Bälde Gucci tummeln – womit sich der Kreis wieder schließt.
Behringer war wirklich schlecht drauf. Er fand nicht einmal die teuer behängten Damen attraktiv, die ihm – bemannt oder unbemannt – entgegen kamen. Er wollte nur wieder in seinen Volvo steigen, Tom Petty hören und laut mitsingen zu „I won´t back down!“. Er hatte den Bezug zu dieser Welt verloren, er war nicht mehr zuhause in ihr, in der Welt von Kunst, Oktoberfest, Neuwahlen und Dirndlzauber. Nicht an diesem nieseligen Septembertag der offenen Galerien in der Weltstadt mit Herz.“