Kai Diekmann droht es selbst schon an: er ist polemisch. Das mag man in sofern billigend in Kauf nehmen, als Polemik ja zum Geschäft der BILD gehört – ja oftmals geradezu Hauptzutat des blutigen Blattes zu sein scheint. Diekmann ist der Chefredakteur dieser auflagenstärksten, deutschen Institution und somit sicherlich ein „pfiffiges Kerlchen“.
So freute ich mich auf zweihundert fünzig polemisch-spritzige Seiten!
Nach zweihundert Seiten fing ich an mich zu fragen, worauf Herr Diekmann nun eigentlich hinaus wolle, mit seiner „Deutschland im Herbst 2007“- Analyse; denn kaum ein Punkt, den man nicht wachen Verstandes schlicht abnicken kann. Seine Standpunkte sind plausibel und durchdacht. Die Art des Vortrages allerdings erscheint mir mitunter allzusehr „rund-um“, Diekmann kommt allzugern vom eigentlichen Thema ab und verirrt sich vom Hölzchen zum Stöckchen. Aber diese mentalen „Round-trips“ können einen gewissen Charme haben, wenngleich der Preis dann gerne die Glaubwürdigkeit ist.
Im Kapitel „Triumph des Mittelmaßes“ geht die Reise von DSDS und Dieter Bohlen über Oswald Kolle und Robert Falcon Scott, streift Uwe Seeler, Otto Rehhagel und die Rütli Schule, die Pisa Studie und die OECD werden angeschnitten (ebenso wie einige Details aus dem Dritten Reich) und am Ende des mentalen Rundflugs landet Diekmann dann wieder bei „Deutschland sucht den Superstar“ und Dieter Bohlen. Das Mittlemaß hat aber weitaus mehr inhaltliche „Stops“: da wären beispielsweise der Qualiätsverlust der Produkte und Dienstleistungen zu Gunsten des shareholder values. Die „Geiz ist Geil“ Metalität ist eine ganz maßgebliche Triebfeder für Mittelmaß und die Europäisierung, die gleichmacherische Standards sucht, um vermeintlich alles einfacher zu machen. In der Sache und im Ansatz hat Diekmann mehr als Recht – ich hätte mir gewünscht, daß der Autor seiner Leserschaft eine Überraschung präsentiert, nämlich, ganz entgegen seines Blattes mal etwas tiefgründiger zu werden: schließlich kann so ein Buch ja auch zusätzliche Meriten bedeuten – ich hätte diese Profilierung dem Autor gewünscht und gegönnt – würde sie ihm aber nach der Lektüre leider absprechen.
Gänzlich enttäuscht hat mich dann das Fehlen einer Synthese: man erwartet nach all der Republikschelte am Ende dann eigentlich schon ein Schlußwort, daß all der vorangegangen Polemik gerecht wird. Ein Gesellschaftsbild, einen Entwurf dafür zumindest, ja ein „Skribble“ hätte da schon Wunder bewirkt…
„Unser täglicher Weltunutergang“ beschäftigt sich u.a. mit der Frage der Energieversorgung und läßt die Gretchenfrage wieder aufleben „Atomkraft, nein danke?“ Den größten Blödsinn tritt Diekmann mit der Frage los „wie man die Risiken in den Griff bekommt“ (zum Thema Moderne Technik ganz allgemein). Dieser Ansatz hat uns Menschen dahin gebracht, wo wir heute stehen: global betrachtet auf die „TITANIC“. Die Frage muß heute ganz anders gestellt werden, denn es geht um unsere Erben, unsere Kinder. Die dumpfe Fortschrittshörigkeit muß endlich zu einen Ende kommen, denn bislang hat es keiner vermocht, auf die einzige, wirklich sinnvolle Frage eine Antwort zu präsentieren: nämlich WOHIN wir als Deutsche (und als Menschheit) eigentlich fort schreiten wollen!
Wir schaffen es, Spielzeugautos punktgenau auf dem Mars spazieren fahren zu lassen und Bilder in Echtzeit zur Erde zu funken – aber es soll unmöglich sein, eine vertretbare Energieversorgung zu gewährleisten, die Umweltverträglich ist? Menschen sind zu ausserordentlichen Leistungen fähig, warum muß man die wenigen findigen Ingenieure und Techniker auch noch Salz in die Augen streuen und sie wissentlich auf die falschen Fährten setzen? Genau das tut nicht nur Herr Diekmann mit seiner unreflektierten Technikhörigkeit, sondern auch die Heerscharen von Atomkraftlobbiisten, Transrapidfreunde und sonstigen Anhängern von Großtechnologie. Ich bin kein Feind von Technik, aber sie sollte mit Maß und Ziel eingesetzt werden. Nur weil ein Produkt „brandneu“ ist, muß es deswegen noch lange weder sinnvoll noch gut sein. Beispiel: das handy! Schon lange ist es unmöglich ein handy zu erwerben, das ausschließlich das kann, wozu es mal erfunden wurde: telefonieren! Der Käufer bekommt gratis dazu: einen Terminkalender, Internetzugang, Fax, eMail-Option, Telefonbuch, Wetterbericht, Staumeldungen, ein Radio, MP3-Player und einen Fotoapparat; nur ein Reisebügeleisen ist leider noch nicht integriert!
Mit dem geistigen Potential, das nötig war, um diesen ganzen Unsinn in ein handy hinein zu entwickeln, hätte man vermutlich eine ganze Reihe sehr pfiffige und wirklich nützliche Dinge erfinden und produzieren können.
Aber nachdem keiner freiwillig von seinem bequemen Sessel aufsteht, wird sich die Weisagung der Cree-Indianer dann wohl doch bewahrheiten: „erst wenn der letzte Baum gefällt und der letzte Fisch gefangen wurde, wird der Mensch einsehen, daß man Geld nicht essen kann!“
Herr Diekmann hackt auf den Alternativen herum: oft mit Recht. Aber das ist nicht relevant. Relevant wäre, das Potential auszuloten, in dem mit der Umwelt Geld zu verdienen ist – und das haben bereits einige Firmen getan (mittlerweile so viele, daß der Börsengang eine Folge war und man mitllerweile eine ganze Reihe entsprechender Fonds zur Verfügung hat)! Wie doof muß ein Geschäftsmann sein, wenn er Rohstoffe teuer einkauft, die er zur Herstellung seines Produktes auch umsonst haben kann! Beispiel: Energie! Sonne, Gezeiten und Wind sind frei – das Potential, um damit Energie zu produzieren schier unerschöpflich! Nur: das würde eine Abkehr der betonierten Verhältnisse mit sich bringen und das will keiner unserer Politiker und wir Bürger haben schon längst aufgehört auf die Straße zu gehen – Fernsehen ist da bequemer!
Zum anderen müssen diese neuen, „sanften“ Technologien natürlich noch erheblich weiter entwickelt werden, damit sie eine rechnerische Alternative zu bestehenden Kraftwerken sind. Das wäre in meinen Augen sinnvoller Fortschritt, Herr Diekmann!
Alles andere ist „großer Selbstbetrug!“